verlängert bis 2. Juni 2021
In der Ausstellung zeigen wir aktuelle Werke von Jürgen Schön.
Jürgen Schön (*1956) lebt und arbeitet in Berlin.
Anläßlich der Ausstellung ist ein Artikel in der F.A.Z.-Rhein-Main-Zeitung erschienen.
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Jürgen Schön. Reliefs und Zeichnungen
Die produktive Wechselbeziehung zwischen Zeichnung und Objekt im Werk von Jürgen Schön wird in der Ausstellung seiner jüngeren Arbeiten aus dem Jahr 2020 in besonderer Weise sichtbar. Vereint sind drei Zeichnungsblöcke von jeweils zehn Blättern in Bleistift, Tusche und Acryl mit einer Gruppe von Reliefs aus Papier, Karton und Holz, die im Display sowohl untereinander als auch mit den Besonderheiten der Ausstellungsräume in Beziehung treten. Am Anfang jedes einzelnen Werkes steht ebenfalls das physische Raumerlebnis, dem sich der Künstler permanent aussetzt, da er alles, was ihn im Innen- und Außenraum umgibt, in seiner anregenden und insbesondere plastischen Qualität wahrnimmt. Inwieweit die virtuellen Räume, die in pandemischen Zeiten verstärkt Teil unser Wahrnehmungswelt geworden sind, ebenso inspirierend wirken können, bleibe für den Moment dahingestellt.
Die Fotografien, die Jürgen Schön auf seinen Wegen durch die Stadt in seinem ersten Jahr nach dem Umzug von Dresden nach Berlin gemacht hat, sind nicht in erster Linie Erinnerungshilfen, sondern bereits eine künstlerische Übertragung des Raumes in die Fläche. Nach den Aufnahmen entstehen Skizzen, in denen der Künstler den Stadtraum aus Straßen, Gebäuden, Beschriftungen und Verkehr weiter auf seine konstruktiven und geometrischen Grundformen reduziert. Schöns Arbeitsprinzip lässt sich sehr gut noch bis zum 31. Mai in der Ausstellung Crossing Borders. Sammeln für die Zukunft im Dresdner Kupferstich-Kabinett erleben – falls wegen Lockdowns geschlossen, kann die Ausstellung auch in einem digitalen Rundgang besucht werden. In den dort ausgestellten Skizzenbüchern, die auf den Zugfahrten zwischen Dresden und Berlin entstanden sind, kann man zweierlei beobachten: Mit der Vereinfachung und Abstrahierung der Formen geht erstens auch die Fokussierung auf bestimmte Wirklichkeitsausschnitte einher, weshalb das Hochformat seiner Skizzenbücher nicht im Widerspruch steht zum panoramahaften Landschaftseindruck aus dem Zugfenster. Im Übrigen zeigen Schöns Fotografien ebenfalls schon vielfach den konzentrierten Blick auf spannungsvolle Fragmente aus Volumen und Flächen. Zweitens summieren sich die Skizzen von Seite zu Seite unaufhörlich zu einem Zeichnungsstrom, der in den seriell angelegten Papierarbeiten eine künstlerisch begründete Fortsetzung findet.
Denn ähnlich wie sich für den Flaneur eine Stadt aus wiederkehrenden und abgewandelten Formen immer wieder neu zusammenfügt, so zeigen auch Schöns Zeichnungen, wie sehr der Künstler daran interessiert ist, die im Innen- und Außenraum identifizierten Grundelemente auf vielfältige Weise und in wechselnder Anordnung und Darstellung zu zeigen. Während sich die beiden Zeichnungsgruppen in A 2 dadurch unterscheiden, dass die dunklere Serie durch den Kontrast zwischen deckenden und lasierten Partien eher die Flächen sichtbar macht und die hellere mehr die Umrisslinie betont, fällt bei der Serie im A 4-Format die mit dem Pinsel erzeugte ruppigere Malfläche auf. Diese schlägt eine Brücke zu den weißen Reliefs, die man durchaus als „plastische Zeichnungen“ begreifen kann, da sich die Formen weniger aus ihrem Volumen denn aus den Schattenlinien bilden. Sowohl in den minimalistischen Zeichnungen als auch in den archaisch wirkenden Reliefs thematisiert Jürgen Schön das grundlegende Verhältnis von Linie, Fläche, Farbe und Form für die bildliche und auch plastische Gestaltung. Nicht zuletzt aus wahrnehmungspsychologischer Sicht sind die abstrakt-geometrischen Kompositionen bemerkenswert, wenn im Bildfeld Flächen und Formen vor- und zurückspringen, Rechtecke und Quadrate zwischen liegend und stehend wechseln und Trapeze und Rauten in räumliche Fluchten oder stereometrische Körper kippen.
In der Ausstellung erfolgt die Rückkopplung an den realen Raum. Im sensiblen Arrangement der Werke stellt der Künstler Bezüge zwischen den innerbildlichen Elementen und denen der die Arbeiten umgebenden Architektur her. Diesen Kreislauf der Formen von erlebter Umgebung über die zeichnerische Aneignung und die plastische Anwendung bis hin zur Bespiegelung im Atelier- oder Ausstellungsraum hat Jürgen Schön 2019 in seiner Intervention Zwei Formen im Raum im Dresdner Residenzschloss exemplarisch vor Augen geführt. Dort hatte er – inspiriert von den L-förmigen Türfassungen vor Ort – drei Zeichnungsserien, in denen er sich mit Winkelformen beschäftigt hatte, in einem auf den Raum abgestimmten Raster so arrangiert, dass die Ensembles in ihrer spezifischen Rhythmik auf die Wände, den Fußboden, die Decke und die Türöffnungen reagierten. In der künstlerischen Korrelation zwischen Zeichnung, Relief und Raum regt uns Jürgen Schön nicht nur zu einem bewussten Erleben unserer meist urbanen Lebensräume an, er zeigt uns außerdem in der unendlichen Variation seines präzisen bildnerischen Vokabulars, wie sinnlich und überraschend ein minimalistisches Kunstwerk sein kann.
Björn Egging