Hideaki Yamanobe
Through the clouds
Obwohl sich Hideaki Yamanobe in seiner Malerei seit vielen Jahren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf die Nichtfarben Schwarz, Weiß und Grau beschränkt, gelingt es ihm doch immer wieder, dieser extrem reduzierten Palette neue, überraschende Nuancen und bislang ungesehene Aspekte abzugewinnen. Yamanobes Werk ist ein schlagendes Beispiel für das Paradox, das Friedrich Nietzsche einmal, mit Blick auf die altgriechische Lyrik, „in Ketten tanzen“ genannt hat. Den selbstauferlegten Zwang zur Nichtfarbigkeit kompensiert der Maler durch ein überaus experimentierfreudiges Entwickeln subtilster Möglichkeiten der Oberflächenbehandlung, was seiner Malerei unbeschränkte Freiräume eröffnet.
Der visuelle Reichtum dieser Malerei erschließt sich allerdings nicht dem schnellen, oberflächlichen Alltagsblick. Yamanobes Arbeiten erwarten von ihren Betrachtern Geduld und Aufmerksamkeit, denn es kann eine ganze Weile dauern, bis sich das Auge an die feinen Strukturmerkmale und zarten Helligkeitsdifferenzen im Bild gewöhnt hat. Dabei macht man dann immer wieder die Erfahrung, dass mit einem Male ganz unerwartete Details sichtbar werden und neue Lesarten sich ergeben. Dieses Umschlagen der Bilder in eine andere Gestalt gehört zu den verblüffendsten Wahrnehmungen, die Yamanobes Gemälde ermöglichen. Wer zum Beispiel in „Slight Light“ nur ein schwarzes, leicht strukturiertes Bildfeld sieht, hat nicht sorgfältig genug hingeschaut. Wenn die Augen sich an die Dunkelheit adaptiert haben, scheint tatsächlich aus einer unergründlichen Tiefe heraus ein fast unmerkliches Bildlicht hervorzuleuchten.
Das Umschlagen der Bildgestalt ist auch sehr gut in „Through the Clouds“ zu beobachten, das der Ausstellung ihren Titel gegeben hat. Eine naheliegende Deutung besteht darin, am unteren Bildrand ein fernes Gebirge zu sehen, über dem sich ein hoher bewölkter Himmel erhebt. Aber plötzlich kann das Gemälde in eine andere Lesart umkippen – und den Betrachterstandpunkt virtuell gleichsam in die Höhe reißen. Wie bei dem Blick aus einem Flugzeug durch dichte Wolken hindurch erscheinen nun die dunklen Flecken wie Wälder tief unten am Boden, während das Sichtfeld weitgehend von Wolkenschichten verdeckt bleibt. In solchen Arbeiten zeigt sich Yamanobes Bestreben, Bildräume von erstaunlicher Tiefe aufzumachen, ohne im Geringsten auf illusionistische Perspektivkonstruktionen zurückgreifen zu müssen. Damit steht er einerseits in der Tradition japanischer Landschaftsmalerei, die ganz flächig, nichtperspektivisch angelegt war, andererseits aber auch in der Nachfolge der westlichen abstrakten Malerei – man denke etwa an Mark Rothko, der die Raumwirkung seiner Arbeiten nur aus der Übereinanderlagerung zahlreicher Farbschichten entwickelt hatte. Anders aber als die reine Abstraktion erlaubt sich Yamanobe immer wieder Anspielungen gegenständlicher Art, hauchzarte Landschaftsanmutungen etwa wie in „Whispers“, wo nach langer Betrachtung zwei Nadelbäume aus einem weißen Nebelfeld aufzutauchen scheinen – oder auch nicht. Hart an der Grenze zwischen Wahrnehmung und Selbsttäuschung verbleiben diese Erscheinungen subtil und flüchtig wie ein Flüstern.
Peter Lodermeyer
Hideaki Yamanobe: Through the clouds
Vergangene exhibition
9 September - 22 Oktober 2022