einfach schwer
Jürgen Schön schickte mir vor kurzem ein paar Fotografien eines Objektes, das mich von ferne an Straßen- oder Hafenpoller erinnerte und ich fragte ihn - etwas verunsichert - an, ob es sich womöglich um ein gefundenes oder ein selbst geschaffenes Objekt handele. Er konnte meine Zweifel ausräumen: Es waren seine eigenen Skulpturen.
Es war fast wie ein Deja vue, denn schon 2001 hatte ich ähnliche Zweifel schon einmal, als Jürgen Schön 2001 den Käthe Kollwitz Preis der Berliner Akademie der Künste bekommen hatte und dies mit einer Ausstellung gewürdigt wurde. Ich kannte den Künstler bis dahin nicht; ich hatte noch nie etwas von ihm gesehen, jedenfalls nicht bewusst. Damals aber waren der Ort der Begegnung die Ausstellungsräume der Akademie am Hanseatenplatz, also offensichtlich Räume der Kunst, also musste das, was dort bescheiden aber eindrücklich „herumstand“, nach der Prämisse Marcel Duchamps und der Moderne Kunst sein. Und so war es auch!
Überzeugend selbst ohne Einführung oder Erklärungen, so überzeugend, dass ich ihn gleich darauf für meine Triennale für Kleinplastik nach Fellbach einlud, die im gleichen Jahr stattfand.
Auch damals changierte der Eindruck seiner aus Pappmaschee geformten Skulpturen zwischen Gefundenem und Geformten, zwischen Selbstverständlichkeit und Schöpfung, zwischen Banalität und Raffinesse, zwischen bewusster Form und Zufälligem, zwischen Gebräuchlichem und Gebrauchtem ..., wenn auch offen bleibt wofür wirklich.
Jürgen Schöns Arbeiten bewegen sich und bewegen den Betrachter in einem Zwischenreich, in dem die Kriterien der Zuordnung nach den Kategorien eines Stils, außerkünstlerischer oder gar kunsthistorischer Regeln oder gar des Zeitgeistes zum Glück nicht greifen. Ohnehin sind solche Zuordnungen ja außerordentlich künstlich, denn sie versuchen erst im Nachhinein zu ordnen, was sich grundsätzlich äußeren Ordnungskriterien widersetzt. Wirklich bedeutsame Kunst passt zuerst einmal in keine der kunsthistorischen Schubladen, oder lässt diese in jedem Falle beim Schießen knirschen. Auch bei Jürgen Schön ist der Betrachter selber gefordert, dem Künstler zu folgen und dann seine eigenen Entscheidung zu fällen und die Problematik der Einordnung in das eignen Ordnungssystem zu finden oder aufzulösen bzw. diese nicht als vorgegeben akzeptiert anzuerkennen: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Es ist Kunst, es kann nicht weg! Es ist für mich Kunst, letztendlich und eindeutig, wobei wir uns wieder einmal darüber im Klaren sein müssen, das aus dieser Entscheidung keine kunsthistorische Regel hervorgeht, jedenfalls vorerst noch nicht.
Eigentlich habe ich ja über die Zeichnungen schreiben wollen. Aber gilt nicht gleiches auch für sie? Auch sie changieren zwischen den Kategorien. Einerseits kleinformatig, bescheiden wie aquarelliert wirkende Gouachen, eher Bilder denn Zeichnungen im strengen Sinne, sanft abgetönt in der Farbigkeit, tonig, sparsam, zurückhaltend, bescheiden aber dennoch von kraftvoller Präsenz, manches mal wie im Prozess der Werden angehalten, womöglich unvollendet, bewusst oder unbewusst, offen und oft in freier Serie, wie auf der Suche nach einem (end)gültigen Ausdruck, den es aber offensichtlich nicht geben darf oder soll? Immer ein wenig unvollendet und abwartend.
So illusionslos Zeichen- und Malfläche in ihrer baulichen Gestalt auch verbleiben, so wenig sie als Bildhauerzeichnung, schon gar nicht als Skulpturenstudien angesehen werden können, sie bergen in sich dennoch ein Potenzial des Plastischen, das auf skulpturales Denken hinzuweisen scheint, ohne es je mehr als nur ahnen zu lassen, scheinbar so einfach und doch so schwer!
Thomas Deecke
Jürgen Schön: Objekte und Zeichnungen
Vergangene exhibition
8 August - 5 September 2015