Machiko Ogawa
Japanische Keramik ist für mit ihr nicht vertraute Augen und Hände eine im wörtlichen Sinn spröde Materie – weit entfernt von der klassischen Eleganz, die chinesische Keramiker während der Song-Dynastie (10.-13. Jh.) entwickelten und ebenso weit entfernt vom über Jahrhunderte in aller Welt bewunderten „weißen Gold“ aus dem China der Yuan- bis Qing-Zeit (1279-1911). Natürlich wurde all dies in Japan begierig rezipiert und souverän weiterentwickelt; doch bereits im 16. Jahrhundert entstand mit der Vervollkommnung der spezifisch japanischen Teezeremonie eine jener eleganten Ebenmäßigkeit geradezu konträre Ästhetik, die die Sensibilität für ursprüngliche, raue, naturnahe Keramikformen kultivierte, wie sie ländliche japanische Keramiköfen oder auch einfache Reisschalen aus Südchina oder Südostasien verkörperten.
Die von den U.S.A. erzwungene radikale Öffnung Japans im 19. Jahrhundert veränderten das Land von Grund auf. Dies gilt auch für die Keramik, die seit der Japonismus-Mode der Zeit der Weltausstellungen einen überraschenden Aufschwung nahm und seither die vermutlich lebendigste Kunstentwicklung ihrer Art weltweit ist.
Machiko Ogawas „archetypische Gefäße“ sind hierfür ein hervorragendes Beispiel. Sie zeigen sich bereits auf den ersten Blick als höchst individuelle Formfindungen von radikaler Modernität. Rau und ungestüm wirken sie, verwundet und vernarbt wie die Seelenlage des modernen Japan. Die Rede ist von einem Land, das die Industrialisierung und den technisch-kulturellen Fortschritt erzwang, um die eigene Souveränität zu bewahren, das aber auch Ultranationalismus, Krieg und mehrfache atomare Katastrophen erleben musste. Die Segnungen der Moderne ebenso wie deren Abgründe sind mithin in Japan mehr als in den meisten anderen Kulturen der Welt spürbar.
All dies schwingt mit in Machiko Ogawas wilden, zerborstenen Formen, die stets einen Transformationsprozess beschreiben, wie er beim Brand in einem Keramikofen unvermeidbar ist. Dabei ist Ogawa durchaus konservativ darin, dass sie das Prinzip der Angewandten Kunst meist nicht verlässt. Trotz des oftmals eher skulpturalen Erscheinungsbildes ihrer Werke sind die meisten von ihnen Gefäße, Behälter, Schalen, also Gebrauchsobjekte. Doch diese manifestieren sich in archaischen, wie sie sagt „archetypischen“ Formen, deren materielle Ausdruckskraft den Betrachtenden und Betastenden unmittelbar in ihren Bann ziehen. Ogawas Werk steht ganz und gar im Kontext der japanischen Keramik der Moderne. Dennoch lässt es sich kaum in eine der vertrauten Schubladen stecken. Es ist ein Oeuvre, in dem auch die Begegnung der Künstlerin mit Paris und mit Afrika, mit Burkina Faso zumindest mittelbar spürbar wird.
Die 1946 in Sapporo geborene Machiko Ogawa hat in Jahrzehnten der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Keramik eine ganz eigene Sprache entwickelt. Fast zögert man, hier von Keramik im engeren Sinn zu sprechen. Es sind unterschiedliche Rohstoffe, Steinzeug, Porzellan, Glas, die hier in einen eigentümlichen Dialog treten – man könnte fast von einem Kampf der unterschiedlichen Werkstoffe sprechen, deren Ergebnis ein Zerbersten, Aufbrechen ist, womit aber auch ein Einblick in die besondere Natur der unterschiedlichen Materialien möglich wird. Die Transformation, das panta rhei, dem alle Existenz unterworfen ist, ist das immer wiederkehrende Thema dieses künstlerischen Werks, ein „Buch der Wandlungen“ in Ton, Porzellan und Glas!
Stephan von der Schulenburg
Machiko Ogawa: Keramik
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